The Wicked Horse: Finding Kyle

Originaltitel: Finding Kyle
Übersetzer: J.M. Meyer

Erschienen: 04/2023
Serie: The Wicked Horse
Teil der Serie: 6

Genre: Contemporary Romance

Location: USA, Maine


Erhältlich als:
paperback & ebook

ISBN:
Print: 978-3-86495-628-7
ebook: 978-3-86495-629-4

Preis:
Print: 16,90 €[D]
ebook: 6,99 €[D]

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The Wicked Horse: Finding Kyle


Inhaltsangabe

Wenn du dein Leben als Verbrecher gelebt hast ...

Wenn du unaussprechliche Dinge getan hast ...

Wenn deine Seele dunkel und befleckt ist ...

Der Weg zur Erlösung beginnt dort, wo du es am wenigsten erwartest.

Nachdem Kyle Sommerville als Undercoveragent in einem kriminellen Motorradclub ermittelt hat, musste er untertauchen. Kyle versteckt sich jetzt als Leuchtturmwärter in einer kleinen Stadt in Maine und will von niemandem gefunden werden. Schon gar nicht von seiner schrulligen, freigeistigen Nachbarin. Doch Jane Cressons unbezwingbarer Wille und ihre unstillbare Neugier auf ihren zurückgezogen lebenden, sexy Nachbarn machen es Kyle unmöglich, in seiner dunklen Welt zu bleiben.

Nach und nach überwindet Jane seine Mauern. 

Tag für Tag bringt sie ihn dazu, ein wenig mehr zu lächeln.

Nacht für Nacht entdecken sie beide eine Leidenschaft, von der sie nicht ahnten, dass sie in ihnen steckt. 

Kann Janes Liebe zu diesem gebrochenen Mann ihm endlich den Weg zur Erlösung weisen, oder wird Kyles Dunkelheit jedes bisschen Hoffnung, das Jane in ihn gesetzt hat, endgültig auslöschen?

Ein Wicked Horse-Spinoff-Roman. 

Über die Autorin

Seit ihrem Debütroman im Jahr 2013 hat Sawyer Bennett zahlreiche Bücher von New Adult bis Erotic Romance veröffentlicht und es wiederholt auf die Bestsellerlisten der New York Times und USA Today geschafft.
Sawyer nutzt ihre Erfahrungen als ehemalige Strafverteidigerin in...

Weitere Teile der The Wicked Horse Serie

Leseprobe

Jane

Ich lehne meinen Bauch gegen den Rand der Anrichte und blicke durch das Fenster, während ich an meinem Kaffee nippe. Es sollte Männern verboten sein, so unverschämt gut auszusehen. Nein, eigentlich sollte es als Sünde gelten. Es sollte eine Sünde sein, so verdammt gut auszusehen, und man sollte es in der Bibel erwähnen. Oder vielleicht denke ich auch bloß so, weil ich meinen Nachbarn so extrem begehre.
Für Mitte Mai ist es in Misty Habor verhältnismäßig mild. Ich habe gehört, dass für heute sechszehn Grad Celsius vorausgesagt wurden. Heute Abend soll es auf vier Grad abkühlen, doch im Moment...

...genieße ich einfach bloß das Wetter. Das bedeutet, dass meine Fenster geöffnet sind. Ich mache das immer, um den Frühling hereinzulassen. Meine Rollläden sind hochgezogen, und mein Nachbar, der auf der anderen Seite des Privatweges wohnt, der unsere Grundstücke voneinander trennt, hat sich soeben sein Hemd ausgezogen, um die Fassade des kleinen Turms zu säubern.
Es ist wirklich ein wunderbarer Tag.
Ich atme tief ein, inhaliere den Duft der Meeresbrise und der weiß blühenden Büsche, die Schneeball heißen, ein, die unter dem Küchenfester zu blühen beginnen, und lächele. Ich liebe den Frühling so sehr – weil er für Erneuerung und Hoffnung steht. Der letzte Winter in Misty Habor war brutal, aber der ist jetzt Gott sei Dank vorüber. Ich freue mich darauf, so viel Zeit im Freien zu verbringen, wie mein Zeitplan es nur zulässt.
Mein kleines Häuschen liegt westlich der Cranberry Lane. Direkt gegenüber der staubigen Straße meines neuen Nachbarn. Ein Mann, den ich noch nicht persönlich kennengelernt habe, obwohl er schon ein paar Monate hier lebt. Es ging das Gerücht um, dass der Stadtrat den alten Boggs als Sicherheitsmann für den Turm, das Gray Birch Lighthouse, absetzen wollte, da er ihn und das dazugehörige Hausmeisterhaus vollkommen verkommen ließ. Außerdem wollte der Stadtrat den Leuchtturm im Sommer für Touristen zugänglich machen, um unserer Stadt ein paar Einnahmen zu bescheren. Leider hatten wir nicht den erhofften Zustrom an Besuchern wie in Bar Harbor auf der anderen Seite der Frenchman´s Bay.
Die Gerüchteküche verstummte, als der alte Boggs im Januar die Wendeltreppe des Turms herunterstürzte und sich den Oberschenkel brach. Schnell wurde seine Stelle neu besetzt, und ehe ich mich versah, zog mein neuer Nachbar in einer verschneiten Nacht Anfang Februar ein. Er hatte nicht mehr bei sich als einen großen Seesack. Ich weiß das so genau, weil ich mit einer heißen Tasse Kakao vor dem Küchenfenster saß und ihn beobachtete.
Jetzt, da die kalten Tage endgültig vorüber sind, werde ich ihn wohl noch öfter draußen sehen, wenn er Reparaturarbeiten leistet. Ich fände es gar nicht so übel, wenn er das ohne sein Hemd macht. Genau wie jetzt. Obwohl er gut hundert Meter von mir entfernt ist, kann ich sehen, dass die obere Hälfte seines Rückens von Tätowierungen bedeckt ist. Ebenso wie seine Rippen auf der rechten Seite und der Großteil beider Arme. Als er sich vorhin einmal in Richtung meines Hauses umdrehte, um den Hochdruckreiniger einzustellen, konnte ich eine große Tätowierung auf seiner Brust erkennen, die bis zu seinem Hals hinaufreicht. Details konnte ich nicht ausmachen – aber ich bin ja auch keine Stalkerin.
Mein iPhone klingelt, und als ich einen Blick auf das Display werfe, sehe ich, dass Miranda mich zu erreichen versucht. Ich gehe ran. „Guten Morgen.“
„Was machst du gerade?“, nuschelt sie, woraufhin mir klar ist, dass sie während des Telefonats isst.
„Ich spioniere meinen heißen Nachbarn aus, der gerade den Leuchtturm mit einem Hochdruckstrahler bearbeitet“, erwidere ich und richte meinen Blick wieder auf besagten Mann. „Was isst du?“
„Cornflakes.“ Ich höre, wie sie einen weiteren, schmatzenden Löffel nimmt. „Was hat er denn an?“
„Jeans“, lasse ich sie wissen. „Ausgewaschen. Sitzt aber perfekt. Arbeitsstiefel. Oh, und Tattoos. Er hat eine Menge Tattoos.“
„Ich bin schon auf dem Weg zu dir, Jane“, meint sie, diesmal weniger schmatzend. Ich muss schmunzeln, denn obwohl Miranda und ich so verschieden wie Tag und Nacht sind, stehen wir beide auf diesen heißen Kerl, der unser kleines, verschlafenes Nest bereichert.
„Du kannst heute nicht mit mir zusammen spannen“, entgegne ich nicht gerade freundlich. „Margery wird jeden Moment für ihre Unterrichtsstunde hier sein.“
„Scheiß auf Margery“, brummt Miranda.
„Sie ist zehn Jahre alt“, tadele ich sie lachend. „So etwas kannst du doch nicht über ein Kind sagen!“
„O doch, nämlich dann, wenn es zwischen mir und einem heißen, tätowierten, männlichen Leckerbissen steht“, erwidert sie.
„Du bist so böse.“ Miranda liebt Margery im Grunde genommen genauso sehr wie ich. „Wollen wir später zusammen essen gehen?“
„Ich kann nicht, ich muss heute Abend arbeiten. Aber, du könntest auf einen Drink vorbeikommen.“
Ich rümpfe die Nase. Miranda hat drei Jobs. Einer davon ist das Mixen von Getränken in einer der schäbigsten Kneipen hier in Misty Habor namens Lobster Cage. Sie arbeitet dort nur ein paar Nächte die Woche, doch dieser Aushilfsjob hilft ihr dabei, zu ihrem Einkommen als Friseurin etwas dazuzuverdienen. Dann kellnert sie noch in einem der beliebtesten Restaurants in der Gegend. Vorausgesetzt, sie bekommt es zeitlich dazwischengeschoben, ein paar Schichten zu übernehmen. Obwohl die Einwohnerzahl von Misty Harbor in den Sommermonaten etwas ansteigt, ist es schwer, sich mit Haarschnitten und Strähnchen in einer Stadt mit weniger als tausend permanent hier lebenden Menschen über Wasser zu halten. Zumal sie nicht die einzige Friseurin im Umkreis ist.
„Hast du ihn schon kennengelernt?“, will Miranda wissen und lenkt das Thema wieder auf den Mann, den ich noch immer anstarre.
„Noch nicht“, entgegne ich mürrisch. Ich hatte ihm vor ein paar Wochen einen Korb mit Backwaren vor die Tür gestellt. Außerdem habe ich eine Notiz hinterlassen, um ihn in Misty Harbor willkommen zu heißen, aber ich habe seither keinen Pieps mehr von ihm gehört. Er hatte nicht mal den Anstand, meinen Korb zurückzubringen. „Ich habe vor ein paar Wochen Muffins gebacken und sie ihm vor die Tür gestellt, aber er ist noch nicht vorbeikommen, um sich bei mir zu bedanken.“
„Wahrscheinlich, weil er sich an einem Muffin einen Zahn ausgebissen hat“, sagt Miranda unverblümt, und während die meisten deswegen beleidigt wären, bin ich es nicht. Manchmal lässt meine Backkunst sehr zu wünschen übrig. Miranda nimmt kein Blatt vor den Mund und vergewissert sich auch nicht, meine Gefühle nicht verletzt zu haben, was nicht der Fall ist. „Geh einfach rüber und stell dich ihm vor.“
„Geht nicht. Margery kommt doch gleich.“
„Gott, dann geh eben nach Margerys Stunde rüber.“
„Vielleicht“, entgegne ich vage. Denn obwohl es mir eine gewisse Sicherheit geben sollte, ihm immerhin einen Korb mit Muffins vorbeigebracht zu haben, die vielleicht die Konsistenz eines Ziegelsteins hatten, bin ich mir nicht sicher, ob ich den Mut habe, ihn tatsächlich anzusprechen.
„Okay“, meint Miranda entschlossen. „Ich komme morgen bei dir vorbei. Wir gehen zusammen zu ihm rüber und stellen uns vor. Abgemacht?“
„Vielleicht“, entgegne ich, und bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass mein Zögern bedeutet, dass ich mich vollkommen damit begnügen werde, ihn aus der Ferne anzuschmachten. Dieser Mann hat etwas an sich, dass ihn düster und gefährlich wirken lässt – was vermutlich nur an den vielen Tattoos liegt – und eigentlich ist er auch überhaupt nicht mein Typ.
„Also gut, Süße“, zwitschert Miranda ins Telefon. „Ich springe jetzt unter die Dusche. Wir quatschen später?“
„Sicher. Bis dann.“ Ich beende das Telefonat, lege das Handy zur Seite und beuge mich über die Anrichte. Ich beobachte meinen Nachbarn und frage mich, was für eine Geschichte er wohl zu erzählen hat.
Nachdem er im Februar hergezogen ist, habe ich ihn den ganzen Winter über kaum aus seinem kleinen Häuschen kommen sehen, obwohl ich weiß, dass er es dann und wann verlassen haben muss, denn schließlich braucht er zumindest Lebensmittel. Ich habe ihn aber nie in der Stadt gesehen, was fast an ein Wunder grenzt, da Misty Habor winzig ist. Man kann das Städtchen in zehn Minuten zu Fuß umrunden. Jeder kennt jeden, und obwohl die Fischer und Hummerfischer manchmal etwas seltsam sein können, sind die meisten freundlich und aufgeschlossen.
Miranda hat mir erzählt, dass sie meinen Nachbarn zweimal im Lobster Cage gesehen hat. Ihrer Aussage nach saß er an der Bar und trank in aller Ruhe seine Drinks, ohne sich mit jemandem zu unterhalten. Er scheint ein Einzelgänger zu sein und ist vermutlich nicht hergezogen, weil er eine Verbindung zur Gegend hat. Deshalb frage ich mich, wie er an den Job als Leuchtturmwärter gekommen ist. Denn nach allem, was ich gehört habe, ist das quasi ein Ding der Unmöglichkeit.
Um das Gray Birch Lighthouse zu betreuen, braucht es nicht viel. Das Licht, das sie Boote vor den felsigen Ufern und Untiefen warnt, die vor der Einfahrt in die Misty Bay umschifft werden müssen, wird mit Strom betrieben und hat zudem noch einen Notstromgenerator. Es läuft also ziemlich autark. Darüber hinaus muss der Wärter nur den Turm und die Hütte in Stand halten, wobei es sich dabei hauptsächlich um Ausbesserungsarbeiten und einen jährlichen Frühjahresputz handelt. Der Job ist ziemlich leicht. Ich kann mir vorstellen, dass er nicht viel einbringt, aber ich habe gehört, dass die Miete für das Häuschen dementsprechend günstig ist.
Ein leises Klopfen an meiner Haustür lässt mich aufschrecken. Ich werfe einen allerletzten Blick auf den heißen Kerl, der den Leuchtturm reinigt, und stelle dann meine Tasse ab, um zur Haustür zu gehen.
Nachdem ich sie geöffnet habe, strahlt mich die kleine Margery Dennison mit einem breiten Lächeln an. „Hallo, Miss Cresson.“
„Guten Morgen.“ Ich strahle zurück. „Bist du bereit für deine Übungsstunde?“
Sie nickt enthusiastisch. „Ich habe geübt.“
Ich lächele, denn Margery hat viel Talent und nimmt die Übungseinheiten sehr ernst. Vor etwa drei Monaten habe ich damit begonnen, ihr im privaten Rahmen Kunstunterricht zu geben, da zu der Zeit klar war, dass sie meinen anderen Schülern an der Schoodic Middle School haushoch überlegen ist. Nachdem ich mit ihren Eltern gesprochen hatte, schickten sie ihre Tochter für eine wöchentliche Privatstunde zu mir. Ich war froh darüber, denn durch diesen Extraunterricht kann ich mein Lehrergehalt aufbessern, obwohl ich zusätzlich noch an der Junior und an der High School Kunst unterrichte. Unser Schulbezirk ist so klein, dass ich an drei Schulen unterrichten muss, und ich habe trotzdem noch immer Mühe, über die Runden zu kommen. Der private Kunstunterricht ist für mich die perfekte Möglichkeit, mir etwas Luft zu verschaffen, sodass ich nicht, wie Miranda, im Lobster Cage arbeiten muss.
Margery lässt ihren leichten Mantel von den Schultern gleiten und zuppelt an dem Kapuzenpullover herum, den sie darunter trägt. Obwohl es heute bis zu fünfzehn Grad warm werden könnte, ist es immer noch ein bisschen frisch.
„Behalte den Pullover an“, sage ich ihr.
Fragend neigt sie den Kopf zur Seite.
„Wir werden heute draußen auf der Veranda sitzen“, lasse ich sie wissen und hoffe darauf, nicht in der Hölle zu landen, weil ich die Zeit nutzen werde, um meinen Nachbarn weiterhin anzuschmachten. „Wir werden an einem Aquarell des Gray Birch Lighthouse arbeiten.“
„Cool“, antwortet sie.
Ich drehe mich zu meinem Atelier um, das strenggenommen mein Gästezimmer ist. Ich habe es zu einem Ort umfunktioniert, an dem ich an meinen eigenen Sachen arbeiten kann, wenn ich denn die Zeit dafür finde. „Komm, hilf mir, alle Materialien zu holen, damit wir uns einrichten können.“
Und vielleicht … nur vielleicht, ist mein Nachbar ja dazu geneigt, zu uns herüberzukommen und sich für die Muffins zu bedanken, die ich ihm dagelassen habe, wenn er sieht, dass wir draußen sitzen und den Leuchtturm malen.

Kyle

Ich ramme die Schaufel in den Boden, stelle meinen Stiefel auf die Kante und trete sie in die Erde. Den hölzernen Griff umklammernd, hebe ich etwas Erde aus, drehe die Schaufel und leere sie aus. Diesen Vorgang wiederhole ich im gesamten Blumenbeet, das sich über die komplette Länge meiner hinteren Veranda erstreckt. Und als ich damit fertig bin, klopfe ich mit der Schaufel die Erdklumpen platt.
Als ich endlich fertig bin, stelle ich mich aufrecht hin, wische mir mit dem Handrücken über die Stirn und atme frustriert aus.
Das ist verdammt ätzend.
Zwar hatte ich nicht erwartet, dass es glamourös werden würde, mich vor meinen Feinden zu verstecken, aber ich hätte mir nie im Leben vorstellen können, dass ich nur noch mit Gartenarbeit beschäftigt sein würde. Und ja, mir waren die Kerntätigkeiten des Jobs, den Joe für mich organisiert hat, klar, aber ich schätze, mir war nicht bewusst, wie sehr ich die Aufgaben hassen würde, die ich nun zu erledigen habe. Ich meine, es ist eine Sache, einen Leuchtturm mit einem Hochdruckstrahler sauber zu machen und anschließend zu streichen, weil das eine Männeraufgabe ist, aber komm schon … ein Blumenbett umzugraben und zu bepflanzen ist noch nie etwas gewesen, das ich unbedingt ausprobieren wollte.
Ich weiß einen Scheißdreck über Gartenarbeit, aber da es nun mal zu meinen Aufgaben gehört, das Gelände rund um den Leuchtturm in Schuss zu halten und einladend für die Touristen aussehen zu lassen, musste ich meinen Mann stehen und lernen, wie man das macht. Ich habe mir ein paar Tage lang YouTube-Videos reingezogen, weil ich nicht in die örtliche Bibliothek gehen wollte, um mir ein Fachbuch zu besorgen. Anschließend habe ich einen kurzen Abstecher zum Baumarkt und einer Gärtnerei gemacht, die mir Gus gestern Abend empfohlen hat, als ich noch auf einen Drink vorbeigekommen bin.
Und siehe da, hier bin ich nun und erledige Gartenarbeit. Das Einzige, was mich noch lächerlicher aussehen lassen würde, wären eine Latzhose und ein Strohhut.
Lachend stelle ich mir vor, was einer meiner Mayhem-Brüder tun würde, wenn er mich jetzt sehen könnte. Nun, vermutlich würden sie mich umbringen, da ich ein Undercover-Agent bin. Doch abgesehen davon, würden sie mich wahrscheinlich in Grund und Boden stampfen, wenn sie wüssten, dass ihr taffer, knallharter Bruder gärtnert.
Das Nervigste an meiner Arbeit ist, dass die Stadt in ein paar Wochen meine Behausung den Touristen zugänglich machen wird, die den Leuchtturm besichtigen wollen. Zwar nur samstags von zehn bis sechszehn Uhr, und ich muss nicht anwesend sein, weil ein Mitglied des Heimatvereins die Führungen macht, aber trotzdem … das hier ist mein Zuhause, mein Zufluchtsort. Der Gedanke daran, dass Fremde hier herumtrampeln, macht mich so sauer wie schon lange nicht mehr. An diesen Samstagen werde ich wohl meine Zeit damit verbringen, mich im Lobster Cage volllaufen zu lassen.
Als mein Handy in der Hosentasche zu vibrieren beginnt, ramme ich den Spaten in den Boden, um meine Hände frei zu haben. Ich mache mir nicht die Mühe, auf das Display zu schauen, denn es gibt nur einen Menschen, der meine Rufnummer hat. Und der wird mich sowieso von einem Wegwerfhandy aus anrufen.
Mein Betreuer … Joe Kizner.
„Was gibt´s?“, frage ich.
„Ich wollte mich einfach nur mal melden“, erwidert er freundlich. „Die Gerichtsverhandlung ist für den neunten September angesetzt.“
Das ist in etwas mehr als drei Monaten. Hoffentlich bekomme dann endlich mein Leben zurück.
„Was kannst du mir Neues über Latner erzählen?“, will ich wissen, während mein Blick über den Atlantik schweift, der heute völlig ruhig ist.
„Er ist auf der Suche nach dir.“
Das überrascht mich nicht. Senator Lyle Latner aus dem großartigen Bundesstaat Colorado wurde seines Amtes enthoben, nachdem man ihn verhaftet und für eine Reihe von Verbrechen, wie Verschwörung, geheime Absprachen und Geldwäsche, angeklagt hat, die ihn für den Rest seines Lebens in den Knast wandern lassen. Wenn er verurteilt wird, wird er fallen und sich nie wieder von diesem Sturz erholen.
Da ich eine Schlüsselfigur für seine Verurteilung bin, erwarte ich, dass er seine kriminellen Kontakte nutzt, um mich aufzuspüren. Würde er mich eliminieren, würde das die meisten seiner Probleme lösen. Obwohl ich nicht direkt in seine Geschäfte mit Mayhem´s Mission involviert war, bin ich der Kronzeuge, der den Club zu Fall bringen wird. Wenn er untergeht, wird auch der Senator untergehen. Vor allem aber dank der Abhörmaßnahmen.
„Alles klar bei dir?“, will Joe wissen, doch ich weiß, was er in Wahrheit meint. Ich denke an das Waffenarsenal, das ich in meinem Haus versteckt, und das Sicherheitssystem, das ich installiert habe. Ich habe mich so gut vorbereitet, wie ich nur konnte. Nur für den Fall, dass jemand hinter mir her sein sollte.
Natürlich müssten sie mich erst einmal finden. Ich bin mir nicht sicher, wie sie das schaffen wollen. Nur Joe und zwei weitere Männer in der Behörde wissen, wo ich mich versteckt halte. Die anderen beiden sind Abteilungsleiter weit über Joes Position.
„Ich habe alles im Griff“, versichere ich ihm, denn ich weiß, dass er sich Sorgen macht. Meine Weigerung, mich ins Zeugenschutzprogramm zu begeben, bedeutet, dass ich mich ohne irgendwelche Agenten, die mir den Rücken freihalten, schützen muss. „Denkst du, der Prozess wird wie geplant starten?“
Joe atmet laut aus. „Du weißt doch, wie es läuft. Alle behaupten, bereit zu sein, doch es kommt trotzdem immer wieder zu Vertagungen.“
Ich werde noch drei Monate durchhalten können, aber der Gedanke, dass es sich noch länger hinzieht, ist beschissen. „Dann richte dem Staatsanwalt von mir aus, dass er keiner Vertagung zustimmen soll.“
„So funktioniert das nicht, Bruder.“
Meine Frustration ist auf dem Siedepunkt. „Ich werde nur noch ein paar Monate hierbleiben, Joe, dann komme ich aus meinem Versteck. Ich will mein verdammtes Leben zurück. Andrea soll wissen, dass ich noch am Leben bin.“
„Entspann dich“, erwidert Joe und versucht, seine Stimme beruhigend klingen zu lassen. „Es wird zu einem Prozess kommen, und wir müssen so lange abwarten.“
„Ich habe unserer Regierung drei Jahre meiner Lebenszeit geschenkt“, entgegne ich in leisem Tonfall, doch ich koche vor Wut. „Ich will mein Leben zurück, und zwar so schnell wie möglich. Lass nicht zu, dass sie Spielchen spielen.“
„Das entzieht sich meiner Kontrolle und das weißt du, verdammt“, sagt Joe, der ebenfalls die Geduld zu verlieren scheint, weil ich mich wie ein Arschloch aufführe. „Außerdem … du bist doch in einer komfortablen Position, Kyle. Sieh die Zeit dort als den dringend benötigten Urlaub an. Es ist doch wunderschön bei dir, oder nicht? Wie wäre es, wenn du versuchst, es zu genießen?“
Jepp, es ist wirklich verdammt nett hier. Wunderschönes Meer, tolles Frühlingswetter und eine verdammt heiße Nachbarin, die keine Gelegenheit auslässt, mir zuzuwinken oder mir ein atemberaubendes Lächeln zu schenken, wenn wir zufällig zur gleichen Zeit draußen sind. Ich lächele oder winke nie zurück, denn das würde sie nur ermutigen, mich kennenlernen zu wollen, und ich kann keine Komplikationen in meinem Leben gebrauchen.
Und auf gar keinen Fall will ich noch mehr Muffins von ihr geschenkt bekommen. Die Dinger waren so schrecklich, dass ich sie wegschmeißen musste. Ich hätte sie als Waffe hierbehalten sollen, aber ich dachte, sie würden die Ameisen anlocken.
„Ich melde mich in ein paar Wochen wieder bei dir“, sagt Joe und reißt mich aus den Gedanken. „Oder eher, falls sich etwas tut.“
„Okay, Mann. Wir hören voneinander.“
Nachdem ich mein Handy wieder weggesteckt habe, gehe ich zum Vordereingang meines Häuschens. Mein Truck steht in der Kiesauffahrt, beladen mit Blumen, die ich brauche. Als ich um die Hausecke biege, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Meine Nachbarin ist gerade dabei, den Feldweg zu überqueren, der unsere Grundstücke voneinander trennt, und marschiert geradewegs auf mein Haus zu.
Meine verdammt heiße Nachbarin, die, je näher sie kommt, noch schöner ist, als ich es auf die Entfernung vermutet habe. Sie hat goldgelbes Haar, das ihr lockig über die Schultern fällt. Sie trägt ein geblümtes Kleid in Rosa- und Gelbtönen sowie eine weiße Strickjacke. Ihre Füße stecken in ausgelatschten, grauen Chucks ohne Schnürsenkel.
All das mache ich mit einem einzigen flüchtigen Blick aus, denn ich bin darauf trainiert, Details schnell in mir aufzusaugen. Ich kehre ihr den Rücken zu, um zu meinem Wagen zu gehen. Vielleicht versteht sie den Wink und verzieht sich wieder.
Entschlossen, sie zu ignorieren, umrunde ich meinen Wagen und schnappe mir die ersten Pflanzen. Meine Schultern straffen sich, als ich sie direkt hinter mir Hey sagen höre.
Für einen kurzen Moment beiße ich die Zähne zusammen, bevor ich den Mund öffne und ein Hey zurückmurmle, ohne sie dabei anzusehen.
Als ich mich von ihr abwende und mich zum hinteren Teil des Hauses begebe, gibt sie ein schnaubendes Geräusch von sich. Ich blicke sofort über meine Schulter und sehe, wie sie ein paar Blumen aus meinem Wagen holt.
Leise vor mich hin fluchend stapfe ich um das Haus herum zum Blumenbett, das ich soeben umgegraben habe, und lasse die Pflanzen frustriert fallen. Als ich mich umdrehe, steht sie direkt vor mir und schenkt mir ein breites Lächeln, das die Fülle ihrer Lippen nicht im Geringsten schmälert. „Brauchst du Hilfe?“
„Nein, danke“, brumme ich, während ich ihr die Blumen regelrecht aus den Händen reiße und sie neben die anderen stelle.
Ich will mich an ihr vorbeischieben, doch sie stellt sich mir in den Weg.
„Ich bin Jane Cresson“, sagt sie und streckt mir eine Hand entgegen. „Ich dachte, ich stelle mich mal vor, da wir ja Nachbarn sind.“
Mein Blick fällt erst auf ihre Hand, dann lasse ich ihn wieder nach oben wandern. Das Einzige, das ich ihr verrate, ist mein Vorname. „Kyle.“
„Nun, ich freue mich, dich endlich kennenzulernen, Kyle“, sagt sie fröhlich, und verdammt … sie ist fast heller als der gottverdammte Sonnenschein. So keck und strahlend ist sie. „Und eigentlich … bin ich rübergekommen, um meinen Korb wieder abzuholen.“
„Korb?“
„Ja, Korb“, bestätigt sie mir mit einem schelmischen Funkeln in den Augen. „Den, den ich dir vor Ewigkeiten vor die Tür gestellt habe. Mit selbstgebackenen Muffins. Ich bin mir sicher, du erinnerst dich.“
O ja, ich erinnere mich gut. Die Miniatur-Waffen.
„Also, ich würde ihn gern zurückhaben, wenn es dir nichts ausmacht“, drängt sie mich sanft. „Und dann, ich weiß ja nicht … könntest du mich zum Essen einladen oder so?“
Mein ganzer Körper zuckt. Ich blinzele sie ein paar Mal an und versuche herauszufinden, ob ich gerade wirklich gehört habe, was ich glaube, gehört zu haben. „Tut mir leid … was?“
„Na ja“, sagt sie, während sie ihre Arme vor der Brust verschränkt und mich liebevoll ansieht. „Ich habe dir zur Begrüßung selbstgemachte Leckereien gebracht, und da dachte ich, du könntest dich bei mir bedanken, indem du mich zum Essen einlädst. Oder einfach nur auf einen Kaffee. Das wäre auch schön.“
„Ich kann dir nicht folgen“, erwidere ich. Mir schwirrt der Gedanke im Kopf herum, dass sie mich im Grunde um ein Date bittet.
Jane grinst mich an. „Was wir hier haben, nennt man Kommunikationsproblem.“
Ich blinzele sie nur an.
„Cool Hand Luke, der Unbeugsame, von 1967“, sagt sie und setzt voraus, dass ich das Filmzitat kenne.
Ich ignoriere ihren Versuch, mich mit ihrem Charme und ihrem zuckersüßen Zitat einer sehr passenden Filmpassage für sich zu gewinnen, und gehe an ihr vorbei zurück zu meinem Truck. „Sorry. Ich werde dich nicht zum Essen einladen. Oder auf einen Kaffee.“
Wenn ich geglaubt habe, das würde sie verjagen, dann habe ich mich gewaltig geschnitten. Sie tritt neben mich, und o Gott … ich kann ihr Parfüm riechen. Der Duft passt perfekt zu ihr. Es riecht nach Küstensonne … salziger Luft und süßer Kokosnuss.
„Ich dachte mir schon, dass du das sagen würdest“, sagt sie verschmitzt. Ich wage es nicht, sie anzusehen. Stattdessen hole ich weitere Pflanzen aus meinem Wagen. Sie tut es mir gleich, und wir kehren beide hinter das Haus zurück. „Also, ich lade dich heute Abend zum Essen zu mir ein. Ich mache einen Schmorbraten.“
„Nein, danke“, murmele ich, während mein Magen leicht zu knurren beginnt. Seitdem ich hierhergekommen bin, habe ich nichts Anständiges mehr gegessen, weil ich nicht kochen kann und ich mich nicht wirklich viel vor die Tür gewagt habe.
„Abendessen gibt es um sieben Uhr“, erwidert sie entschieden.
Ich drehe mich zu ihr um und sehe sie an. „Ich sagte doch schon … nein, danke.“
Sie blendet mich regelrecht mit ihrem Lächeln. Ihre Zähne sind strahlend weiß und ihre Lippen zartrosa.
Verdammt … wann habe ich damit angefangen, diese Details in mir aufzusaugen oder mich überhaupt um sie zu scheren?
Jane macht einen Schritt auf mich zu, ihr Lächeln ist noch immer breit und strahlend. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen. „Dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Casablanca, 1942.“
Verdammt, sie ist süß. Das macht sie für einen Mann wie mich äußerst gefährlich.
Ich trete einen Schritt zurück – zu ihrem oder meinem Schutz, ich bin mir da nicht so sicher. „Was soll der Quatsch mit den Filmzitaten?“
Sie zuckt mit den Schultern. „Ist so ein Hobby von mir. Ich liebe Filme. Manche liebe ich so sehr, dass ich sie mir immer wieder ansehe. Deswegen neige ich dazu, mir die Texte einzuprägen.“
„Nun, Huston“, sage ich und kneife meine Augen zusammen, um ihr meinen schärfsten Blick zuzuwerfen. „Wir haben ein Problem. Ich werde nicht zum Abendessen vorbeikommen. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern wieder an die Arbeit gehen, denn ich habe noch verdammt viel zu tun.“
„Natürlich“, entgegnet sie freundlich und nickt. „Das Abendessen wird um sieben serviert. Ich hoffe, wir sehen uns dann.“
Ich knurre, erwidere aber nichts darauf. Stattdessen pfeffere ich eine Pflanze zu Boden und marschiere zur Seiteneingangstür, die in die kleine Waschküche führt. Es ist einfacher, das Schlachtfeld zu verlassen, als mich noch weiter mit ihr auseinanderzusetzen. Ich werde die Bepflanzung fortführen, wenn ich mir sicher bin, dass sie endlich weg ist.

Ein leises Klopfen an meiner Haustür lässt mich zusammenzucken. Ich klappe das Buch zu, das ich gerade lese. Der damalige Hausmeister hat eine ziemlich gute Sammlung von Klassikern hiergelassen. Ich habe damit angefangen, sie abends zu lesen. Heute ist meine Wahl auf Der Ruf der Wildnis gefallen, weil es in der High-School mein Lieblingsbuch war.
Ich lege den Wälzer auf dem Kissen neben mir ab und werfe einen Blick auf die Wanduhr, die neben dem Kamin hängt.
Halb neun.
Ich beuge mich vor, angele unter der Couch nach meiner Ruger neun Millimeter Pistole, rühre mich aber nicht vom Fleck. Ich lausche und warte.
Nach ein paar Minuten, in denen kein weiteres Klopfen ertönt, stehe ich vom Sofa auf und gehe zur Haustür. Ich lasse immer das Licht auf der Veranda an. Als ich den Vorhang aufschiebe, sehe ich niemanden.
Ich sperre die Tür auf und öffne sie, dann beuge ich mich vor, um nach links und rechts zu schauen.
Keiner da.
Als ich die Tür wieder schließen will, bemerke ich etwas auf der Treppe.
Einen Korb, der mit einem rot-weiß karierten Leinentuch abgedeckt ist.
Ich bücke mich, hebe ihn auf und klappe das Tuch zurück. Darin befindet sich ein mit Frischhaltefolie überzogener Teller, der mit etwas beladen ist, das wie Schmorbraten, Kartoffeln und Karotten aussieht. Daneben liegt ein weiterer Teller mit etwas, das Schokoladenkuchen ähnelt.
Ich drehe den Kopf, um zu Janes Haus zu blicken, und kann gerade noch erkennen, wie sie sich durch den dunklen Vorgarten bewegt.
Seufzend gehe ich in mein Haus zurück. Den Korb nehme ich natürlich mit. Ich werde mir doch nicht ein selbstgekochtes Abendessen entgehen lassen. Mir bleibt nur zu hoffen, dass sie besser kocht als backt.

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